Freitag, 14. Oktober 2022

Louisbourg

Louisbourg Kanada Städte

Eine Geschichte von vergangenem Glanz, wechselnden Besitzern und wirtschaftlicher Rettung von Kohlearbeitern.

Roadtrip
Es Wird Dunkel

Wie im letzten Beitrag bereits vorgegriffen, schnappten wir uns in Bedford einen Mietwagen (was erstaunlich schnell ging) und fuhren in Richtung Nordosten. Unser Ziel am ersten Tag war das knapp 420 km entfernte Louisbourg (wird seit 1966 wieder mehrheitlich französisch ausgesprochen). Die ersten Kilometer zwischen den “Einheimischen” waren noch etwas gewöhnungsbedürftig, gibt es hier doch einige Eigenheiten, die wir so nicht kannten. So sind die Strassen auf den Highways so breit, dass man bei uns sicher 1.5 - 2 Spuren daraus gemacht hätte. Ausserdem scheinen hier rund 75% der Autos irgendwelche Dodge RAMs, Ford F150, o.ä. zu sein. Gerne auch mit kuriosen Aufbauten. Oder man kreuzt einen Lastwagen, welcher einen Lastwagen abschleppt. Oder ein ganzes Haus 🤷🏻‍♂️

Mikado

Ankunft Louisbourg

Am späteren Nachmittag erreichten wir dann aber endlich Sydney, die scheinbar einzige “echte” Stadt auf Cape Breton Island. Bereits auf dem Weg dorthin sahen wir immer wieder einige umgeknickte Bäume am Wegesrand. Das war aber nichts im Vergleich zur Strecke Sydney —> Louisbourg. Riesige Tannen säumten unseren Weg, geknickt als wären es Zahnstocher. Ganze Waldflächen lagen in grotesken Haufen, als versuchte jemand mit ihnen Mikado zu spielen. Und dann, nach diesen etwas bedrückenden Kilometern, öffnete sich der Wald und gab den Blick auf die Küste und einige, vereinzelte Häuser frei. Louisbourg. Ein beschaulicher, kleiner Fischerort mit kleinen Häuschen links und rechts, die so auch gut irgendwo im nirgendwo der USA hätten stehen können. Es gibt ein Gemeindehaus, eine Feuerwehrwache, einen Laden, eine Post und eine Handvoll Gasthäuser. Während wir langsam durch das Städtchen tuckerten, bemerkten wir jedoch auch, das die olle Fiona hier ihre Spuren hinterliess. Jedes zweite Dach schien notdürftig mit Plastikfolie repariert, ganz zu schweige von den Fassaden einiger grösserer Gebäude. Auch Abfall, gefällte Bäume und andere Gegenstände lagen noch regelmässig irgendwo in den ansonsten etwas biederen Vorgärten.

Harbour Inn
Tschisserli

Unsere Unterkunft für diese Nacht, das Louisbourg Harbour Inn, passte sehr gut ins Bild dieses Ortes. Eingerichtet in einem alten Käpitänsanwesen, scheint es von aussen wenig spektakulär, eröffnet im Inneren aber sehr viel Charme. Nach einem kurzen Self-Check-In, es war kein anderer Mensch ausser uns da, spähten wir durch die verschiedenen Türen im Erdgeschoss. Neben einem heimeligen Esssaal, in dem früher sicher ein mächtiger Esstisch gestanden hatte, gab es einen altehrwürdigen Salon mit 20er Jahren Blumensofas. Fast so schien es, dass Margaret Rutherord als Miss Marple höchstpersönlich jeden Moment den Saal betreten und den Mord an einer ehrbaren Dame aus der Aristokratie verkünden würde. Natürlich in Schwarzweiss…

Später versuchten wir unser Glück bei der Suche nach einem Restaurant. Da die Saison vorbei war und Fiona sicher auch noch ihre Finger im Spiel hatte, waren diese aber alle geschlossen. Auf unserem Weg von einer potentiellen Gaststube zur anderen, wurden wir noch von einer etwas verwirrt wirkenden Dame offiziell im Dorf begrüsst. Sogleich hatte sie auch einige Tipps für uns auf Lager: “Auf dem Gehweg hat es noch überall Überresten vom Sturm. Passt auf wo ihr hintretet. Und neben dem Gehweg ist alles voller Hundescheisse. Und überhaupt, passt auf die Glasscherben auf. Habt noch einen schönen Abend.” - “Äh… messi, gäll?!” 🤨 Nur etwas ausserhalb gäbe es noch ein Restaurant welches wahrscheinlich noch geöffnet sei, meinte die nette Dame vom Motel am Dorfeingang. Ansonsten bliebe nur der Dorfladen übrig. Müde von den hunderten Kilometern Autofahrt, schlenderten wir also zum lokalen Shop. Eine andere Alternative gab es definitiv nicht. Dazu muss man wissen, dass man nicht per Zufall nach Louisbourg kommt. Es gibt nur zwei Gründe an diesen Ort zu gelangen: a) man will das, b) man ist in Sydney falsch abgebogen und bemerkt das während 35 km nicht. Louisbourg ist die wahrgewordene Sackgasse welche schon einst Mani Matter besang. Es gibt keinen Durchgangsverkehr und keine Laufkundschaft (einzige Ausnahme: man ist auf dem Weg zum Fortress of Louisbourg. Aber dazu später mehr). Hier enden die Strassen einfach. Aber zurück zum Verpflegungsproblem: Im etwas abgefuckten Laden war die Auswahl an Zuckerzeugs gigantisch, an echtem Essen weniger. Im letzten Moment entdeckten wir im schmuddligen Kühlregal aber noch ein paar selbstgemachte Sandwichs, welche den Charme von Gefängnis-Kantinen in US-Serien ausstrahlten.  Dafür waren sie aber lecker: Roast Beef mit Mayonnaise und gezuckerten (wtf?!) Maisbrötchen. Eine kleine Schokoladentafel mit Zuckerwattengeschmack, natürlich ganz blau gefärbt, rundete das nahrhafte Mahl und unseren Abend ab.

Ausblick Auf Fortress
Haupttor
Mary Auf Wehrmauer
Simon

Fortress of Louisbourg

Nach einem TexMex-Frühstück mit Himbeergebäck (🧐) und einem netten Gespräch mit unseren amerikanischen Tischnachbarn, zog es uns zur einzigen Attraktion in der Nähe: Fortress of Louisbourg. Die Befestigung war auch der eigentliche Grund, wieso wir in Louisbourg gelandet sind.

Während der Ort Louisbourg heute nur ein weiterer kleiner Ort irgendwo in der Pampa von Kanada ist, war es vor rund 250 Jahren der wichtigste Brückenkopf für alle französischen Siedlungen in der neuen Welt. Vom grossen, natürlichen Hafen sollte einst Quebec versorgt, bzw. mit Frankreich verbunden werden. Aus diesem Grund wurde hier, im Osten von Acadia (franz. Name der Ost-kanadischen Territorien, z.T. noch heute verwendet), die grösste französische Befestigung auf dem amerikanischen Kontinent gebaut. Benannt wurde er natürlich nach dem damaligen französischen König Louis XYZ. Für einige Jahre wurden von hier aus tonnenweise Kabeljau und Felle nach Frankreich verschifft und die britische Vorherrschaft auf dem neuen Kontinent in Frage gestellt.

Blick Ins Marschland
Desroches House
Kanone

Irgendwann kam es wie es kommen musste und die Rotröcke hatten genug und erklärten den Krieg. Während Louisbourg zur See hin sehr gut abgesichert war, dachten die französischen Baumeister nicht daran, dass jemand über den etwas sumpfigen Landweg angreifen würde. Genau von hier schlugen die Briten zu und übernahmen das Städtchen und die Befestigung nach einem kurzen Kampf. Zwei Jahre blieben die Besatzer, bevor im alten Europa die Karten neu gemischt wurden und Grossbritannien die Siedlung der französischen Krone zurückgab. Der Frieden hielt aber nur rund 10 Jahre bevor die Festung wieder in englischer Hand war. Beim zweiten Mal gingen die Besatzer aber auf Nummer sicher und zerstörten den Ort und das Fortress, so dass die Franzosen nicht mehr zurück kommen würden.

So lagen die Ruinen bis in die 1960er Jahre brach, bevor die kanadische Regierung und Parks Canada (die Organisation der Nationalpärke) in dem Ort eine Chance für die lokale Wirtschaft sahen. Zu dieser Zeit mussten auf Cape Breton Island viele Kohlenminen geschlossen werden und die Arbeitslosigkeit nahm zu. Die Regierung investierte viel Geld um den Kumpels neue Handwerke beizubringen und rund 25% der ursprünglichen Festung in Louisbourg wiederaufzubauen. Noch heute wird an der Siedlung gearbeitet und neben den vielen Handwerkern und Tourguides gibt es auch einige verkleidete Schauspieler, welche dem Ort neues altes Leben einhauchen. Die Franzosen mögen vielleicht kein gutes Händchen beim Bau der Anlage gehabt haben, dafür waren sie sehr genau im Verwalten davon. Deshalb gibt es im ganzen Ort viele persönliche Schicksale zu lesen und erfahren. So soll auch die erste dunkelhäutige Frau von ganz Kanada ihren eigenen Laden in Louisbourg eröffnet haben. Nachdem sie 20 Jahre lang als Sklavin für eine Familie gearbeitet hatte. Es lebe die Bürokratie! 🇫🇷

Blick in die Vergangenheit

Als wir auf dem Retourweg wieder durch das heutige Louisbourg fuhren, konnten wir uns noch immer kaum vorstellen, wie relevant der Ort einmal war und wie klein und bedeutungslos er heute erscheint. Nach Louisbourg kommt man heute halt wirklich nur aus zwei Gründen: man will die Festung sehen oder man ist vor 35 km falsch abgebogen…